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Die Kraft der Gedanken

Jeder Mensch kennt den Moment des Aufgebens. Wir stecken in einer Situation fest und denken uns: „Ich kann nicht mehr“, „Ich kann das nicht“ oder „Ich habe das noch nie gekonnt“. Egal ob Workout, Mathe-Unterricht, eine lästige Aufgabe im Büro, beim Einhalten eine Diät oder beim Joggen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem wir denken, wir schaffen es nicht mehr. Ganz entscheidend ist hierbei, dass wir es denken! Natürlich fühlen wir auch unsere schweren Muskeln oder den brummenden Kopf, doch letztendlich gibt unser Kopf vor unserem Körper auf. Unser Kopf und unsere Gedanken bestimmen also maßgeblich über unseren Erfolg in stressigen Situationen.

Um dies zu veranschaulichen, möchte ich Ihnen diese Geschichte des argentinischen Autors, Psychiaters und Gestalttherapeuten Jorge Bucay zeigen:

Als ich klein war, war ich vollkommen vom Zirkus fasziniert, insbesondere von den Elefanten. Während der Zirkusvorstellung stellte das riesige Tier sein ungeheures Gewicht, seine eindrucksvolle Größe und seine Kraft zur Schau. Nach der Vorstellung aber und auch in der Zeit bis kurz vor seinem Auftritt blieb der Elefant immer am Fuß an einen kleinen Pflock angekettet. Der Pflock war allerdings nichts weiter als ein winziges Stück Holz, das kaum ein paar Zentimeter tief in der Erde steckte. Und obwohl die Kette mächtig und schwer war, stand für mich ganz außer Zweifel, dass ein Tier, das die Kraft hatte, einen Baum mitsamt der Wurzeln auszureißen, sich mit Leichtigkeit von einem solchen Pflock befreien und fliehen konnte. Warum also machte er sich nicht auf und davon?

Jahrelang konnte ich keine Antwort auf diese Frage finden. Schließlich erklärte mir eine scheinbar sehr weise Person, dass der Elefant nicht flieht, weil er schon seit seiner frühesten Kindheit an den Pflock angekettet ist. Ich schloss die Augen und stellte mir den wehrlosen neugeborenen Elefanten am Pflock vor. Ich war mir sicher, dass er in diesem Moment schubst und zieht und schwitzt und sich zu befreien versucht. Und trotz aller Anstrengung gelingt es ihm nicht. Ich stellte mir vor, dass er erschöpft einschläft und es am nächsten Tag gleich wieder versucht und am nächsten wieder und am nächsten wieder… Bis er eines Tages seine Ohnmacht akzeptiert und sich seinem Schicksal fügt. Dieser riesige, mächtige Elefant aus dem Zirkus flieht nicht, weil er denkt, dass er es nicht kann. Allzu tief hat sich die Erinnerung daran, wie ohnmächtig er sich kurz nach seiner Geburt gefühlt hat, in sein Gedächtnis gebrannt. Und das Schlimme dabei ist, dass er diese Erinnerung nie wieder ernsthaft hinterfragt hat. Nie wieder hat er versucht, seine Kraft auf die Probe zu stellen.

Die Geschichte des Elephanten spiegelt die in der Psychologie sogenannte „erlernte Hilfslosigkeit“ wider. Dieser Begriff ist auf den amerikanischen Psychologen Martin Seligman zurückzuführen: In Konditionierungsversuchen mit Hunden entdeckte er zunächst, dass diejenigen Hunde, die zufällige und unvermeidbare Elektroschocks erhielten, diesen auch später nicht mehr versuchten auszuweichen. Bei Experimenten, die die Theorie an Menschen überprüfte, zeigte sich, dass nicht der Kontrollverlust als solcher, sondern die Wahrnehmung, dass man die Situation nicht beeinflussen kann, entscheidend sei. Dieses Phänomen kann unter anderem auch für die Entstehung von Depressionen in Betracht gezogen werden. Wenn ich davon überzeugt bin, nichts verändern zu können, dann werde ich das auch nicht tun.

Ein weiteres, dem sehr ähnliches psychologisches Konzept, ist die Selbstwirksamkeit oder Selbstwirksamkeitserwartung (SWE), nach Albert Bandura. Dies bezeichnet die Erwartung, ob gewünschte Handlungen erfolgreich ausgeführt werden können, basierend auf den eigenen Kompetenzen.

Beispielsweise könnte ich der Überzeugung sein, eine Prüfung gut zu bestehen, weil ich mich gut vorbereitet habe und auch sonst eine gute SportlerIn bin. Hätte ich bezüglich der Aufgabe Erwartungen basierend auf der erlernten Hilfslosigkeit, würde ich davon ausgehen, dass ich die Prüfung nicht oder nur sehr schlecht bestehe, da mich der Prüfer mich zum Beispiel nicht mag oder mir eine schlechte Bewertung „reindrücken“ will.

Das eigentliche Problem ist, dass unsere Gedanken maßgeblich unsere Handlungen bestimmen. Nicht nur unsere Gedanken in der Prüfung selbst, sondern auch unsere Erwartungen im Vorhinein spielen eine entscheidende Rolle. So kann es zum einen sein, dass wir uns in der Prüfung selbst schlecht reden, z.B. „Turn-Übung XY war noch nie meine Stärke, kein Wunder, dass ich es nicht schaffe“, zum anderen wird unsere Erwartung über unsere Kompetenzen bereits im Vorhinein bestimmen, ob und wie gut wir uns vorbereiten/trainieren.

So kann es sein, dass wir denken „Ich bin nicht gut in der Übung Z, daher muss ich diese Übung intensiv trainieren“ oder eben „Ich bin nicht gut in Übung Z, ich verhaue die Kur sowieso, es bringt nichts mich darauf vorzubereiten“. Dies lässt sich auf alle Sportarten übertragen, z.B. eine bestimmte Rennstrecke oder bestimmte Gegner in Mannschaftssportarten.

PsychologInnen bezeichnen dieses Phänomen auch als „self-fulfilling prophecy“, also selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn ich demnach davon ausgehe, die Prüfung zu verhauen, ich der Überzeugung bin, nichts dagegen tun zu können, werde ich mich nicht auf die Prüfung vorbereiten und schließlich auch die Prüfung tatsächlich verhauen. Auf Deutsch: Jeder ist seines Glückes Schmied. Unsere Gedanken bauen Grenzen unserer eigenen Leistungsfähigkeit auf. Würden wir diese Grenzen etwas ausweiten oder uns zutrauen, diese Grenzen zu überschreiten, so würden wir staunen, was wir alles erreichen können.

Referenzen:

Martin E. P. Seligman (1979). Erlernte Hilflosigkeit. Urban & Schwarzenberg: München.

Comer, R.J. (1995). Klinische Psychologie. Heidelberg: Spektrum.

Albert Bandura (1977). Self-Efficacy: Toward a Unifying Theory of Behavioral Change. In: Psychological Review,84, (2), S. 191-215.

Robert K. Merton (1948). The self-fulfilling prophecy. In: The Antioch Review, 8, S. 193–210.

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